Mindfields
Samstag, 15. März 2003
been there - done that

Es gibt Tage, an denen macht es ganz plötzlich ?schwupp? und man steht auf Pause. Ich bin gerade auf Pause.

Zeit, einen Schluck aus der Büchse zu nehmen und mal aufs Klo zu gehen. Vielleicht sich ein Käsebrot schmieren und dabei einen Moment nachdenken. Über diesen Film, den man sich da die ganze Zeit ansieht. Der diesen merkwürdigen Titel trägt: ?Ich und das Leben?.
Wechselnde Schauplätze, O.K., aber nun auch schon ne Weile das immergleiche Köln mit seinem omnipräsenten Dom. In jeder dritten Szene hängen diese Turmspitzen im Hintergrund. Na, Bravo.
Die Ausstattung: eindeutige ?Low-Budget-Produktion?. Andauernd Innenaufnahmen von dieser winzigen Bruchbude. Meine Fresse, der Hauptdarsteller kann ja kaum aus seinem Bett aufstehen, schon fällt er zur Tür raus. Und die Klamotten, die der Typ trägt.... eieiei.... Wo ist die Kulturstiftung NRW, wenn man sie mal wirklich braucht?
Über den Sound brauchen wir gar nicht erst reden. Anfangs war ich ja noch optimistisch, schließlich hat der Typ einen Haufen Taschengeld zum Plattenladen getragen, aber kaum war die Pubertät vorbei, war ihm die Kohle dafür auch zu schade. Schluss mit Pickeln und Fistelstimme- Schluss mit Musik. Tss. Die Gitarre hat er dann auch bald an den Nagel gehängt, oder höchstens ab und an versucht den Lagerfeuer-Clapton zu geben. Jetzt diese Live-Konzerte, bei denen er nur stupide auf den Bass eindrischt, also ehrlich: für nen guten Soundtrack gibt der Film nicht viel her.
Was sich der Regisseur bei der Besetzung der Hauptrolle gedacht hat, will ich gar nicht wissen. Meine Güte, wie oft will der den noch auf die Fresse fallen, bis er endlich lernt aufrecht durchs Leben zu gehen? Ich meine, so schwer kann es doch nicht sein, einen 08-15-Normalo, wie man ihn an jeder Ecke trifft, zu spielen. Aber nein, das ewig gleiche gekünstelte Lächeln, der unsichere Blick, diese vertrottelte Freundlichkeit. Wirklich nett, sehr nett. Bei den Nebendarstellern funktioniert?s doch auch. Oder geben die etwa auch so ein jämmerliches Bild ab? Nein, sie verkörpern ihre Rollen mit Inbrunst, mit Leidenschaft, nicht wie so ein gottverdammter Fremdkörper, der da durch die Landschaft rollt. Ist doch wahr.
Warum, verdammt, guck ich mir den Film überhaupt noch an? So viel Rotz. Ich schneide ein paar Radieschen klein und lege sie auf das Käsebrot. Diese kleinen Dinger machen den Geschmack erst aus. Radieschen. Wo bleiben die verdammten Radieschen in dem Streifen? Ich beiße ins Brot und kaue. Die Radieschen sind scharf. Sehr scharf. Unerwartet verdammt fucking sehr scharf. Ich spucke das Brot in die Spüle. Was zum...?
Die Story ist es. Die beschissene, kleine Story. Erst passiert Ewigkeiten gar nichts: Monatelang hängt der Kerl hinter Büchern rum, redet mit den gleichen Arschgesichtern, schleppt sich immer wieder zum Fußball und man fängt schon an Mitleid mit ihm zu haben. Dann gibt es diese Kleinigkeiten: er stolpert beim Lesen über ein paar Zeilen, die ihm schön oder wichtig erscheinen, er grinst und man freut sich mit ihm. Er haut den Ball aus zwanzig Metern aus Versehen in den Winkel und schreit vor Freude den halben Platz zusammen, so dass man aufspringen will, um für ihn die andere Hälfte auch noch vollzubrüllen.
Und dann diese Tempowechsel: Immer wenn ich gerade ein bisschen eingelullt und angeödet bin, passiert irgendwas unerwartetes. Reißt mich hoch, wirft mich herum und zeigt mir, dass ich gar nichts, aber auch null gerafft habe. Eben hockt er noch zu Hause, im nächsten Moment macht er Musik für kreischende, besoffene Menschen. Dann versucht er sich als Schauspieler, hört sich die Lebensgeschichten kranker Omas an und faltet kurz darauf bekiffte Teenager zusammen. Er landet für ein Jahr auf so ner Insel. Einfach so. Zack. Glaubst Du, er wird völlig bescheuert da oben? Nö: merkt nicht mal, dass eigentlich alles anders ist. Er tut so, als wär es das Normalste von der Welt. Dann ab in den mittelamerikanischen Urwald, zurück in die Großstadt, in andere Großstädte, hin und her und immer bindet er morgens mit einer großen Schleife seine Schuhe zu, schickt tagsüber Tausende von Buchstaben und Worte auf Reise, immer mit der gleichen, unaufgeregten Stimme und nachts klemmt er sich das Kopfkissen unter die Brust, damit er besser einschlafen kann.
Die Nebenrollen wechseln auch dauernd. Er verliebt sich, liebt, ist eine Zeit lang glücklich, -mal länger, mal kürzer- und ist irgendwann wieder allein. Er verschenkt sein Herz an alle möglichen Figuren, die durch den Film purzeln. Manche kann er eine Zeit lang festhalten andere verschwinden spurlos. Kaum Charaktere, die ihn ständig begleiten.
Der Drehbuchautor ist ein echter Gott. Aber so ausgefallen die Dinge auch sein mögen, die er sich einfallen lässt, dieser Hauptrollenfutzi tut immer so, als wäre das einzige was sich ändert seine Sockenfarbe. Verrückt.
Nur manchmal. Ganz selten passiert es, da kommt er doch aus dem Tritt. Sei es, dass zu viele Dinge auf einmal passieren, oder dass eine der beständigeren Nebenrollen ihn plötzlich am Kragen packt und ihn hoch in die Luft reißt und schüttelt. Dann merkt er auf einmal, was alles passiert ist. Er reibt sich die Augen und merkt, dass alles um ihn herum plötzlich anders aussieht. Die Straßen und die Häuser, die Menschen um ihn rum, er selbst. Vor allem er selbst.
Dann erschrickt er ein wenig, tritt einen Schritt zurück, atmet tief durch und macht sich ein Käsebrot. Mit Radieschen.

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